... von Herwig Huener

Cafe Ole`

Als ich zur Bundeswehr kam, war ich kein gewohnheitsmäßiger Kaffee Trinker wie heute. Insbesondere hatte ich in der Vergangenheit nur Kaffee getrunken, den jemand anders gemacht hatte. Will heißen: ich wusste nicht, wie das geht. Dann kam aber der Tag, als der Flugbetrieb eher gemessen war und mein Schicht Führer, Hauptfeld Gorny, das Ansinnen an mich herantrug, mich nach unten in die Küche zu begeben und einen Kaffee zu machen. Befehl ist Befehl. Der selbstständig denkende Soldat ist natürlich in der Lage, die Bedienung einer Kaffeemaschine zu erraten – insbesondere, da ich von weitem durchaus schon Zeuge eines solchen Vorganges gewesen war. Was ich nicht wußte, war, dass eine Kaffeemaschine einen Filter braucht. Logisch, nicht? Eine Maschine sollte solche Routinevorgänge einem doch irgendwie abnehmen. Dachte ich. Es kam mir schon komisch vor, dass der Kaffee (a) sehr hell und (b) mit so einem deutlichen Boden Satz versehen war. Ich weiß jetzt auch nicht mehr, ob ich damals vermutete, dass Kaffee eventuell von selbst nachdunkelt, weil der Kaffeesatz sich vielleicht auflöst.

Ich traute mich also – Befehl ist Befehl – den Kaffee, so wie er war, in die achte Etage rauf zu bringen.

Es würde dem Niveau dieser Website nicht förderlich sein, wenn ich die rhetorischen Ausfälle der Herren Gorny, Oehm und Hlubek hier wiedergäbe – ich erinnere mich auch nicht an Einzelheiten. Das Wiedersehen mit der Kantine unten im Turm erfolgte jedenfalls schneller, als ich noch Minuten zuvor angenommen hatte.

Und den wortreichen Erklärungen unseres Hauptfelds folgend machte ich an diesem Tag das erste Mal in meinem Leben einen richtigen Kaffee.

So ist es gewesen.


 

 

Beförderungen „en passant“ und eine Musik Darbietung

Ich war von Oktober 1971 bis März 1972 in der technischen Schule der LW in Lager Lech Feld. Da dies mein drittes und viertes Quartal bei der Bundeswehr war, wusste ich, dass irgendwie die Beförderung vom Flieger zum Gefreiten bevorstand. Wann genau, dass wusste ich aber nicht. Irgendwann passierte es dann: über die Lautsprecheranlage wurde eine Liste von Leuten zum Geschäftszimmer befohlen. Ich verstand etwas von „großem Dienstanzug“, aber die Namen verstand ich nicht, weil die Lautsprecheranlage der Inspektion einen so heftigen Klirrfaktor hatte. Also nahm ich an, unter den Aufgerufenen zu sein. Wenig später standen wir etwa zu fünft oder sechst vor dem Geschäftszimmer. Der Chef selber (Major Brehm?) kam raus mit vier oder fünf Ernennungsurkunden. Reihum Strammstehen, Übergabe der Urkunde, Händeschütteln – bei allen, nur nicht bei mir. Dann Abtreten. Was ich mir in den nächsten Stunden von den Kameraden anhören musste, entzieht sich nach 35 Jahren gnädig meinem Gedächtnis. Ein paar Tage später bekam ich übrigens meine Beförderung – ganz formlos, das ging also auch. Den Grund, warum im FmSkt C Beförderungen ein paar Tage später als in anderen Sektoren passierten, habe ich nie erfahren. Das Ganze war einer der peinlichsten Vorfälle in meinem Leben – und doch möglicherweise in dem halben Jahr in Lagerlechfeld bloß der zweitpeinlichste. Der erstpeinlichste soll auch noch erzählt werden: Unsere Russischlehrerin, Frau Olga Doil, hatte die geniale Idee, unseren Lehrgang zur Abschlussfeier ein paar russische Lieder singen zu lassen – obwohl wir eigentlich nicht besonders durch musikalische Begabung aufgefallen waren. Da standen wir also auf der Bühne im Scheinwerferlicht und legten los. Einer von uns hatte sogar eine Gitarre, was vielleicht die ganze Idee katalysiert hatte. Mich beschlich schon nach wenigen Takten das Gefühl, weder in Tonhöhe noch im Tempo Lied-konform zu sein. Um die Darbietung nicht durch Misstöne zu gefährden, reduzierte ich meinen akustischen Output unter Beibehaltung der Lippenbewegungen nach Null.Offenbar waren die Gedankengänge und die Musik-defensive Einstellung der anderen Kameraden ähnlich. Schon nach wenigen weiteren Takten bewegten *alle* nur noch die Lippen – und der Kamerad mit der Gitarre hörte dann, sehr irritiert, auch auf.

Der Saal tobte vor Begeisterung!


 

 

Der Albtraum

Ich habe mir lange überlegt, ob ich die folgende Anekdote auch erzählen sollte. Der Täter wird in einem ungünstigen Licht dargestellt – nun gut, er hat das selbst betrieben – und unappetitlich ist es auch.

Andererseits – es ist passiert, und der Abstand der Jahre nivelliert auch solche unangenehmen Erlebnisse. Es ist ein bisschen Sektor Geschichte. Und wie ich inzwischen weiß, sind auch andere Kameraden Opfer dieses Herrn geworden – auf ähnliche Weise. Dann erzähle ich es eben, als Vorreiter von uns „Leidensgenossen“.

Es war im 3. Quartal 1971 im Fernmeldesektor C in Göttingen. Meine „Sicherheit“ war noch nicht durch die Bürokratie – wahrscheinlich wegen eines Ost Berlin Besuches unserer Schulklasse einige Jahre zuvor – und meine Tätigkeit damals, formal im Nachschub, kann als „Gammeldienst“ bezeichnet werden.

Eines Nachts lag und träumte ich von einer Wanderung in einem warmen, tropischen Regen. Ich wachte auf – und der tropische Regen hielt an!

Ich aus dem Bett raus, Licht an, auch etwas laut – und wenige Sekunden später standen die anderen Kameraden der Stube mit beiden geballten Fäusten um einen uns unbekannten Kameraden herum, der mir gerade ins Bett gepinkelt hatte, und dessen Blick auch nicht gerade die Gnade der Intelligenz erahnen ließ.

Ich selber brauchte erstmal einige Minuten, um die Situation überhaupt zu begreifen – auf manche Dinge bereitet einen ein wohlerziehendes Elternhaus ja überhaupt nicht vor. Der junge Mann mit seinem Offensiv-Pimmel machte einen auf verlegen und brachte eine Erklärung heraus, die sich mit „wollte auf Toilette, Tür verwechselt“ zusammenfassen lässt. Er wäre auch etwas betrunken, wobei das Wort „etwas“ etwas dehnbar interpretiert werden darf – er konnte sich kaum auf den Beinen halten.

Ich oder wir runter zum UVD und so Abwechslung in dessen Routine gebracht. Außerdem musste ich duschen – und in welchem Bett ich dann den Rest der Nacht verbracht hatte, entzieht sich meiner Erinnerung. Ebenso weiß ich nicht, wie wir den Täter abziehen ließen

– aber der UVD hatte alle notwendigen Fakten festgehalten. Natürlich – ich war nicht zugegen – war die Meldung am nächsten Morgen nicht „keine besonderen Vorkommnisse“. Noch im Laufe des Tages wurde ich zum Spieß befohlen (Hauptfeld Kiel, glaube ich), und bald darauf zum Sektor Chef. Insbesondere  letzterer versuchte zu ergründen, welche „Nebenklagebeduerfnisse“ ich gegen den Täter hatte. Mein Chef im Nachschub, Feldwebel Tesmar hatte vorher sogar von „Kameradenschändung“ geredet.

Nun bin ich nicht besonders rachedurstig, besonders, wenn ich eher versehentlich Opfer eines solchen Vorganges gewesen bin. Natürlich war der Täter für eine Diszi reif – aber darüber hinaus gab es für mich kein Vergeltungsbedürfnis. Was der Täter sich genau eingefangen hat, weiß ich auch bis heute nicht.

Aber die Geschichte hatte noch ein Nachspiel.

Ein Kamerad aus der „Sicherheit“ nahm mich am Wochenende nach Osterode mit, wo mein Elternhaus ist. Dabei erfuhr ich so nebenbei, dass es sich bei dem Vorfall durchaus nicht um ein Versehen gehandelt hatte. Der Täter war in seinen letzten paar Dutzend Tagen Bundeswehr Zeit gewesen und hatte den intensiven Wunsch verspürt, seinem Vorgesetzten ins Gesicht zu pinkeln. Das hatte er auch in die Tat umgesetzt – richtig an seiner forensischen Darstellung ist allerdings, dass er sich – verdammter Alkohol – in der Tür geirrt hatte.

Ich hatte einfach Pech gehabt.

Sollte der Täter noch am Leben sein (unwahrscheinlich, da als schwerer Alkoholiker bekannt) und diese Zeilen lesen – eine Entschuldigung in Form einer Flasche 18-jaehrigen Highland- Park ist durchaus angemessen. Die Flasche in Originalabfüllung, versteht sich, nicht in Selbstabfüllung.


 

 

Dies ist gar keine Anekdote aus dem Sektor Leben – nur fast.

Ich war noch in der Grundausbildung von April bis Juni 1971 in Goslar. Im Juni gab es eine große Übung: den Stoeberhai Turm gegen einen Feind zu verteidigen. Eine Woche lang – und die Feinddarstellung würde freundlicherweise der Bundesgrenzschutz übernehmen. Zu dem Zeitpunkt wusste ich schon, dass ich mal zum Sektor C kommen würde – aber von außen gesehen war das Ganze noch eine unheimliche, futuristische und geheimnisvolle Anlage. Unser Campieren rund um den Turm herum, in den Wäldern, war echt abenteuerlich. Meine Gruppe lag an einem Waldweg, den man erreicht, wenn man vom Haupteingang der eingezäunten Anlage links herum geht und dann immer weiter in den Wald eindringt. Neben dem Waldweg war ein eigenartiges Plateau, groß genug für ein Häusl, das da vielleicht irgendwann einmal gestanden hatte – und als ich am Vortag der Sprengung in dem Gebiet wanderte habe ich tatsächlich genau diesen Platz wieder gefunden, 34 Jahre später!

Jedenfalls campierten wir da und warteten die Dinge, die da kommen sollten.

Natürlich nicht ganz untätig. Die pyrotechnischen Vorbereitungen wurden installiert, und wir lernten, dass man diese Vorfeldbeleuchtung nach der Installation nicht gleich mit der Stiefelspitze auslösen sollte, wenn man aufsteht und zurücktritt. Nachts wurde ich dann auf irgendwelche Botengänge geschickt – warum und wozu, weiß ich nicht mehr – und weil ich nicht wusste, ob sich im Unterholz Freund oder Feind versteckte – wir wussten ja noch nicht, wie sich der BGS dem Turm nähern würde – hatte ich das G3 im Anschlag und marschierte unbehelligt durch die fahl erleuchteten Harzwälder.

Später erfuhr ich von meinen Kameraden, dass sie mich durchaus gesehen haben, aber da sie nicht wussten, wer ich war, hatten sie davon Abstand genommen, mich anzusprechen. Außerdem hätte ich mit meiner Flinte so aggressiv gewirkt.

In der ersten Nacht tauchte der BGS noch nicht auf. War auch nicht nötig – es war spannend genug. Schade, dass viele Einzelheiten nicht mehr erinnerlich sind. Wo aßen wir? Mit wem teilte ich das Zelt? Wo pissten und schissen wir? Wie verhinderten wir, nachts da rein zu latschen? Was erzählten wir uns? Welche Witze? In der zweiten (oder vielleicht dritten) Nacht war es dann so weit: Lkw-Geräusche im Tal. Unsere Stellung war Einsatzbereit. Wenig später knackte es durch den nächtlichen Fichtenwald von unten auf uns zu.

Inzwischen, 35 Jahre später, weiß ich, wie man sich nachts lautlos in einem Fichtenwald bewegt (siehe meine HochSeilNest-Seite) – damals war das für keinen von uns möglich – für den BGS nicht und für uns auch nicht. Jedenfalls kam sie näher, und es war für uns sehr aufregend.

Der uns zugeteilte Unterführer schärfte uns vorher ein, „auf alles zu schießen, was sich bewegt!“

Etwas später schwang sich vor mir im Dunkeln eine Gestalt über den Bodenwall auf. Ich erinnerte mich an die 20 Patronen in meinem G3 und rotzte alles rein was ich hatte. Der Schatten richtete sich vor mir auf und sagte mit der Stimme meines Vorgesetzten: „Huener, du bist ein Arschloch.“

Man nennt so was im Militärjargon „friendly fire“. In so einer Situation vor den eigenen Stellungen rumzuturnen kann man auch als Dummheit bezeichnen – glücklicherweise tut Manövermunition nicht weh – sonst wäre der Tag für den Herrn, dessen Name ich vergessen habe (er war nur bei dieser Sechstageübung unser Gruppenführer), wirklich gelaufen.

Von den BGS-lern habe ich übrigens keinen zu sehen bekommen. Später hörte ich, dass einige tatsächlich den Zaun erreicht hätten – diejenigen, die sich im Dunkeln verlaufen hatten. Komisch – eigentlich konnte es nicht so schwer sein, den Turm zu finden – man besteigt den Berg Stoeberhai, und ganz oben ist er…

Leider sind diese wenigen Highlights schon alles, was ich von diesen sechs Tagen memorieren kann. Schon wenige Tage später war die Grundausbildung zu Ende, und ich trat die erste Dienst Reise von Goslar aus an – nach Göttingen, zum Sektor.

Von dem Herrn, den ich erschossen habe, habe ich nie wieder was gehört. Ob der echt eingeschnappt war?


Herwig Huener war von 1972 bis 1973 auf dem Stöberhai