Historie Stöberhai

Home > Geschichte > Historie Stöberhai

Historie des Stöberhai

 

Wie weit reicht der Stöberhai?

Früher, als der Turm noch im aktiven Dienst war, bildeten sich, wie schon beschrieben, Legenden um den Turm und es gab Menschen, die felsenfest der Ansicht waren, dass man von hier aus bis nach Moskau oder noch weiter „hören“ konnte. Neben den schon bekannten und schon geschilderten Mysterien, war das eine häufig geäußerte Frage oder auch felsenfest behauptete „Tatsache“, die man vom Hörensagen kannte. Jedoch galten auch für den Stöberhai mit seinen Empfangsgeräten die physikalischen Gesetze der Ausbreitung elektromagnetischer Wellen, ganz genauso, wie für alle anderen Benutzer der drahtlosen Nachrichtentechnik. Wer sich mit dieser Problematik schon einmal befasst hat oder selbst Funkbetrieb praktiziert hat, stellt schnell fest, dass die Reichweiten überbrückter Entfernungen höchst unterschiedlich sein können. Alle diese Türme, die in den Äther lauschten, also auch der damalige Nachbar auf dem Brocken, (höchster Berg im Harz 1142m) standen eben auf möglichst hohen Bergen mit freier Sichtfläche. Das lässt den Schluss zu, dass hier Frequenzen fast ausschließlich oberhalb des Bereiches der Kurzwelle genutzt wurden. Also Frequenzen, bei denen die Ausbreitung über die sogenannte Bodenwelle stattfindet. Frequenzen im Kurzwellenbereich bis zu 30 Megahertz nutzen auch die Bodenwelle, aber hier treten noch Einflüsse der die Erde umgebenden atmosphärischen Schichten auf, die eine Ausbreitung der elektromagnetischen Wellen über Reflexionen an diesen Schichten ermöglichen. Dann heißt das Ausbreitung über die Raumwelle und dann können Entfernungen durch Mehrfachreflexionen an diesen Schichten sogar weltweit überbrückt werden. Das wiederum ist abhängig von den Tages- und Nachtzeiten, den Jahreszeiten und auch in erheblichem Maß von der Sonnenaktivität, die wiederum einem ca. 11-jährigen Zyklus unterliegt. Die Frequenzen der kurzen Welle spielten aber auf dem Stöberhai nur eine untergeordnete Rolle. Hier wurden Frequenzen hauptsächlich ab 30 MHz genutzt, der Bereich erstreckte sich in der Radarerfassung bis 40 Gigahertz. Das sind sehr hohe Frequenzen, die schon durch geringe Hindernisse abgeschirmt werden können. Ganz entscheidend für die Reichweiten der empfangenen Signale war immer, wie hoch der Standort der Sendequelle war, oder ob eine sogenannte quasioptische Sicht bestand. Damit ist gemeint, wenn man z.B. auf einem hohen Berg steht, kann man optisch auch nur bis zum Horizont schauen. Das war für die Erfassung der Signale auf dem Stöberhai von großer Bedeutung. Natürlich gab es auch hier durch besondere Ausbreitungsbedingungen Reichweitenerhöhungen, die in einem Fall bei einer sehr hohen Frequenz von ca 5 Gigahertz  (5000 Megahertz) eine Erfassung in einer Reichweite von mehr als 500 Km ermöglichte. (Siehe den Bericht Kriegsschiff auf der Elbe?)

Ein besonderes Handicap in der Erfassung auf dem Stöberhai war unser Nachbarberg, der Brocken. Er schirmte die quasioptische Sicht in Richtung Nord-Ost sehr stark ab, so dass Signale aus diesen Richtungen nur schwer oder gar nicht zu erfassen waren. In süd-östlicher Richtung hingegen war eine uneingeschränkte quasioptische Sicht möglich. Waren es bodengestützte Radargeräte, lag die Erfassungsgenze vielleicht in ca 400 Km, aber auch dann war so ein schwaches Signal schon sehr schwer zu orten. Natürlich war durch besondere Wetterlagen auch in höheren Frequenzbereichen eine Steigerung der Reichweiten möglich, aber das war dann nur von kurzer Dauer und leider waren dann neu erfasste Frequenzen mit Inhalten, die wir gerne ständig gehabt hätten, schnell wieder im Rauschen der Empfänger verschwunden. Wichtig war auch immer wie ein Signal abgestrahlt wurde, geschah dies mit Rundstrahlantennen, war eine Erfassung eher möglich als die der mit Richtantennen stark gebündelten Aussendungen, die in einer Richtung standen, die am Stöberhai vorbeiging. Auch die Sendeleistung des Gerätes, welches empfangen wurde, spielte für die Reichweite eine Rolle, aber viel wichtiger war die Art (Bündelung) der Antenne und die Richtung, in der diese steht. Die größten Reichweiten traten stets im Flugfunk auf, wenn sich ein Flugzeug in einigen tausend Metern Flughöhe befand und der Pilot sich mit der Flugsicherung in Verbindung setzte, um den Grenzüberflug zu melden oder er sprach mit dem jeweiligen Heimatflugplatz.Dann konnten auch schon mal Flugzeuge noch weit über der Ostsee oder im polnischen oder damals noch tschechoslowakischen Luftraum gehört werden. Es gab auch damals manchmal am Wochenende Funkamateure, deren Steckenpferd darin bestand, möglichst große Entfernungen auf Frequenzen im UKW-Bereich zu überbrücken und sich dann zum Senden auf die Fläche des alten Hotels Stöberhai stellten, diese Funker arbeiteten auch häufig mit Richtantennen und ließen mit ihren Aussendungen die Erfassungspulte im Flugfunk „blinken“. Wenn es dann gar nicht anders ging, musste die Polizei die Funkamateure überreden, ihren Sendebetrieb zu Gunsten eines ungestörten Empfangs unserer gewohnten Frequenzen einzustellen. Es gab auch zwei funktechnische Radareinrichtungen des Gegners, die in nur einigen Kilometern Entfernung zum Stöberhai quasioptische Sicht hatten und deren Feldstärken einiger ihrer Radargeräte Vorverstärker der Radarempfänger in der 11.Etage durch zu hohe Eingangssignale zerstörten.


Radargeräte mit Charakter

Es wurde schon einmal erwähnt, der Turm auf dem Stöberhai war wie ein U-Boot, alle saßen darin und keiner konnte nach draußen schauen. Wenn man früher über den Stöberhai und seinen Turm sprach, wurde es immer sehr geheimnisvoll. Da gab es Leute, die behaupteten, wenn man den Turm fotografiert, ist er auf dem entwickelten Bild nicht zu sehen. Quasi wie ein Vampir, der sein eigenes Spiegelbild nicht sieht, aber den gibt es ja auch nicht.

Oder der Turm ist nur eine Attrappe, darin verbirgt sich ein Flugkörper, der im Falle eines dritten Weltkriegs abgefeuert werden würde.

Nur das da Menschen drinnen saßen und ihre Arbeit verrichteten, sagte keiner.

Vielleicht hängt es ja auch damit zusammen, dass früher die meisten Leute nicht die innerdeutsche Grenze überschreiten konnten und sich ausmalten, wie es denn dahinter aussehen würde. So ging es uns aber auch und man hatte von jeder Signalquelle sein eigenes Bild vor dem geistigen Auge, natürlich sah es immer ganz anders aus.

Auch glauben viele im Turm wurde nur gelauscht, also Gespräche mitgehört, was dem Turm seine unrühmlichen Bezeichnungen wie Horchposten oder Spionageturm einbrachte.

Die Wahrheit ist, dass die elektronische Aufklärung überwog, was bedeutet, dass technische Signale aus Impulsen mit bestimmten, sogenannten Modulationen analysiert werden mussten und daraus ein Erfassungsergebnis resultierte.

Eine funktechnische Einheit zur Überwachung oder eine militärische Stellung mit Flugabwehrraketen zur Abwehr gegnerischer Flugzeuge bestand aus einer Vielzahl von verschiedenen Radargeräten, die anhand der Parameter, also ihren technischen Daten zugeordnet werden mussten.

Der Erfasser musste also eine Fülle von Frequenzen mit weiteren Parametern kennen, um ein solches Radargerät  zuzuordnen und eine Standortfeststellung machen, notfalls wurde ein solches Gerät mit einem benachbarten Turm gepeilt und der Schnittpunkt der Peillinien ergab dann auf der Karte den Standort des Gerätes.

Sehr erfahrene Erfasser konnten schon Radarsignale an ihrem akustischen Ton aus dem Kopfhörer erkennen.

Jeder Arbeitsplatz im 11. Obergeschoss hatte eine bestimmten Aufgabenbereich, d.h. es wurden Radargeräte erfasst, die bestimmte „Charaktereigenschaften“ hatten. Da gab es welche, die ganz weit in den Luftraum spähten, um in möglichst großen Entfernungen Luftfahrzeuge zu orten, dann gab es wieder welche, die eigene Flugzeuge begleiteten, um ihnen wie ein Lotse ein Ziel zu zeigen, dass diese (simuliert) bekämpfen sollten. Dann gab es wieder welche, die bedrohlich wirkten, weil sie auf eine aktivierte Stellung mit Flugabwehrraketen hinwiesen, die ein Luftfahrzeug eventuell abschießen konnten.

Es gab auch welche an Bord von Flugzeugen, die unterschiedliche Aufgaben hatten. Einmal waren da Geräte, die Luftfahrzeuge zum Navigieren brauchten, so wie heute das Navi im Kraftfahrzeug. Diese sagten uns wieder mit welchem Flugplatz das Flugzeug arbeitete und sie verrieten uns was für ein Flugzeug das war und in welcher Höhe es flog.

Jedes Gerät mit seinem akustischen Ton, der durch eine Kette von aneinandergereihten Impulsen erzeugt wurde, erzählte etwas über seinen Zweck, aber nur der erfahrene Erfasser konnte aus diesem Ton oder besser vielen Tönen dieser Radargeräte eine militärische Lage erkennen und weitergeben. Wenn morgens oder am Nachmittag das sogenannte diensthabende System erprobt wurde, waren auf einen Schlag sehr viele verschiedene Radargeräte aktiviert, die der Erfasser in sehr kurzer Zeit erkennen musste, einschließlich Standortfeststellung und Meldung der erfassten Parameter.

Das war dann immer eine stressige Phase, die aber routinemäßig jeden Tag erfolgte und keine Panik erzeugte.

 So war es also möglich aus einer Vielzahl von Tönen und natürlich der exakt analysierten Impulsstrukturen ein Bild einer militärischen Lage zu erkennen und zu beurteilen, die mit den erfassten Bereichen anderer Sektoren, die der Stöberhai nicht mehr erfassen konnte, zu verknüpfen, um ein Gesamtbild der jeweiligen Lage darzustellen.

Es gab auch Radargeräte, die gemessen an ihrer Impulsstruktur genau zu erkennen waren, ähnlich wie ein Fingerabdruck, der in einer Kartei gespeichert worden ist.

Das bedeutete, wenn dieses Radargerät seine Standort wechselte, konnte man es wiedererkennen und auch nur aufgrund von Impulsen diesen „Umzug“ in einer Lagebeurteilung aufzeigen.

Auch waren Radargeräte an Bord von Flugzeugen nützliche Peilsender, denn durch die veränderliche Peilung konnte der Flugkurs exakt bestimmt werden.

Dieses Szenario von ausgesendeten Impulsen war also eine militärische „Großwetterlage“, die Auskunft darüber gab, was der Gegner gerade machte.

Bei großen Übungen war schon Tage vorher eine große Anzahl von Sendequellen im Richtfunkbereich und „agressiven“ Radargeräten in anderen Übungsgebieten festzustellen, die wie beschrieben, geortet und analysiert wurden und so ein Indiz für militärische Aktivitäten in den jeweiligen Übungsräumen waren. 

Auch bei solchen Ereignissen konnten wir erkennen, was der Gegner vor hatte. Ein Überraschungsangriff, wie früher manchmal vermutet, wäre nicht möglich gewesen, weil eben durch diese elektronischen „Berichterstatter“ eine Abschätzung der militärischen Lage möglich war.

 


Ein ganz normaler Tag auf dem Stöberhai - Tagesschicht

Der ganz normale Tagesablauf auf dem Berg im Turm war keineswegs geheimnisvoll, wie mancher sich das vielleicht vorstellt, die Arbeitsplätze waren rund um die Uhr besetzt und jede Tages- oder Nachtzeit  bestimmte die Arbeit an den Erfassungsplätzen der einzelnen Etagen. Der Tag begann früh in der Truppenunterkunft in Osterode, in der die Soldaten wohnten, die „kasernenpflichtig“ waren. Diese jungen Soldaten mussten in der Kaserne schlafen, meist kamen diese auch aus ihren weit entfernten Heimatorten und so hatten sie hier ihr zweites Zuhause. Aber auch ältere Soldaten wohnten hier, es gab einen Block, in dem nur die untergebracht waren, die den Schichtdienst im Turm ableisteten, auch schliefen hier Soldaten, die gerade ihre Nachtschicht beendet hatten einige Stunden, bevor sie sich in die schichtfreie Zeit zu ihren Angehörigen aufmachten. In diesem „Block B“ wurde auch am Tage deshalb immer etwas mehr Rücksicht auf diese Kameraden genommen. Doch jene, die zur Tageschicht frühmorgens aufstanden, rappelten sich auf, nahmen ihr Frühstück ein und versammelten sich in der Osteroder-Kaserne an der KfZ-Unterkunft, um in den schon bereitstehenden „KOM“ (Kraftomnibus) einzusteigen. Auch morgens kamen einige Soldaten, die zuhause bei ihren Familien wohnten, nach Osterode und fuhren von hier aus zum Stöberhai. In der Woche fuhren morgens zwei Busse, der frühere wurde von den Kameraden benutzt, die Schichtdienst leisteten, der zweite Bus beförderte die Soldaten des Tagesdienstes zum Turm. Die Fahrt von der Truppenunterkunft in Osterode dauerte je nach Verkehrsaufkommen bis zu 45 Minuten, bevor die Einsatzstellung erreicht wurde. Es war immer ausreichend Gelegenheit im Bus die Neuigkeiten, dienstlich oder privat, auszutauschen, aber auch noch für eine Zeit der Entspannung, um die Augen zu pflegen und sich auf den Dienst vorzubereiten. Unterwegs in Osterode, Herzberg und Bad Lauterberg stiegen ebenfalls noch Soldaten zu, die zuhause wohnten und nicht zur Kaserne nach Osterode mussten. Einen kurzen Verpflegungsaufenthalt machte der Bus in Herzberg oder Bad Lauterberg, um frische Brötchen und Mett für das Frühstück in der Turmkantine mitzunehmen. Die ganze Fahrstrecke betrug 35 Km, und bei schönem Wetter bot der Bus kostenlos denen eine Fahrt durch die schöne Landschaft des Südharzes, die diese Gegend mochten und hier gerne wohnten. Es gab natürlich auch Soldaten, die lieber zuhause waren und die Fahrt zum Turm nicht so sehr genossen. Der Bus fuhr von Osterode durch Herzberg, weiter an Scharzfeld vorbei und dann schon fast am Fuße der Einsatzstellung wurde Bad Lauterberg erreicht. Die Fahrt durch diesen Ort war recht lang, bis das Odertal erreicht wurde und bei gutem Wetter konnte man nun schon hoch zum Turm auf den Stöberhai sehen. Der Bus fuhr nun über den Staudamm an der Odertalsperre, vorbei an einem Campingplatz und weiter ging es durch das Glockental in Richtung Stöberhai. Es gab damals noch eine gepflegte Teerstraße und der Bus erreichte kurze Zeit später die Einsatzstellung. In der Schleuse, das war der Raum zwischen dem äußeren und inneren Zaun um die Stellung, fand immer die morgentliche Zeremonie des Aufschließens der Tore statt. Das äußere Tor wurde aufgeschlossen, der Bus fuhr hinein, das äußere Tor wurde wieder verschlossen, dann wurde das innere Tor geöffnet und der Bus konnte nun hineinfahren. So hatte nicht einmal eine Maus die Chance, unerlaubt in den inneren Stellungsbereich zu kommen. Die nächste Hürde das Innere des Turmes zu erreichen bestand nun darin, den Vorraum des Wachlokals zu betreten und die sogenannte Wechselkarte in ein Fach zulegen, der diensthabende Wachmann entnahm die Karte und übergab dem Soldaten den Turmausweis, den er stets sichtbar an der Brust zu tragen hatte. Dieser Ausweis zeigte, welche Etagen der Beschäftigte im Turm betreten durfte. Dann ging es nach dieser Prozedur erstmal über eine Treppe tief runter in den Schleusengang, der zu einem Raum führte, in dem sich das „schwarze Brett“ mit den Rahmendienstplänen befand und den Beschäftigten die aktuellen dienstlichen Belange zur Kenntnis brachte. Eine Tür führte von hier in einen Raum, der als Gefechtsstand für Alarmübungen eingerichtet war. Aber alle Ankommenden versammelten sich vor der Türe des Liftes, mit dem die einzelnen Etagen schnell und bequem erreicht werden konnten. Das Personal der jeweiligen Schicht, auch Einsatzwache genannt, strebte die Betriebsräume in den folgenden Etagen an:

  7. Obergeschoss - Fernschreiber/Fernsprecher,

  8. Obergeschoss - Richtfunkerfassung auch Drehzahl genannt,

10. Flugfunkerfassung – COMINT

11. Etage der Radaraufklärung  ELINT

Hier warteten schon die Soldaten der Nachtschicht sehnsüchtig auf die Ablösung.

Natürlich fand, je nach Betriebssamkeit des Gegners ein Gespräch am jeweiligen Arbeitsplatz statt, in dem der Soldat der Nachtschicht die Erfassungslage schilderte, also welche Schwerpunkte in der Suche auf bestimmte Frequenzbereiche, bestimmte Radargeräte und in welchen Räumen besondere Aktivitäten stattfanden. Dies betraf aber nur die Ablösung in der 11. Etage. In der 10. Etage sah das etwas anders aus, weil hier die Erfasser bestimmte Flugfunk-Frequenzen auf Aktivitäten überprüften. Hier wurden entsprechend der sicheren Erfassbarkeit dieser Sprechverkehre ausgewählte Flugplätze zugewiesen, deren Flugbetrieb von Beginn an bis zum Ende akustisch beobachtet wurde. Es gab hier Arbeitsplätze die entsprechend der Flugfunkfrequenzen besonders anstrengend waren, wenn eben die Piloten komplexe Einsätze zu erfüllen hatten und so auch vom Erfasser eine große Erfahrung verlangt wurde, die aus profunden Kenntnissen der verwendeten Terminologie der Kommunikation, sowie aus umfassenden russischen Sprachkenntnissen bestand. In der 8. Etage war das Signalaufkommen gemischt, viele Signale waren technisch zu analysieren, aber auch Sprache war hier zu vernehmen. Auch hier war eine große Erfahrung der Erfasser gefordert, die einerseits gute Kenntnisse der damaligen Richtfunktechnik und elektronischer Datenübertragung, und andererseits sehr gute russische Sprachkenntnisse erforderte um eine militärische Lage aufgrund der erfassten Signale zu erfassen und zu beurteilen.  Die Fernschreiber im 7. Obergeschoss lebten von dem Betriebsaufkommen der über ihnen befindlichen Etagen, war oben viel zu tun, hatten sie viel Arbeit und die Fernschreiber ratterten pausenlos. Der Fernschreibbetrieb ging bis weit in die 80er-Jahre, bis eine elektronische Meldeerstattung die rappelnden Kisten ablöste. So vergingen noch Minuten der Übergabe der Arbeitsplätze, bis die abgelösten Soldaten in ihre wohlverdiente Freizeit fahren konnten. Für die neue Schicht begann der Tag sogleich am Arbeitsplatz, aber um nochmals die aktuelle Lage allen bekannt zu machen fand in der 10. Etage ein sogenanntes Breefing statt, in dem die Lage der vergangenen Tage in den einzelnen Teilerfassungsbereichen erörtert wurde und hier waren Beschäftigte der 8., 10. und 11. Etage, die als Berichterstatter den übrigen Erfassern diese jeweilige Lage anschließend am Arbeitsplatz erläuterten.  So war der Betrieb in der Tagesschicht am anstrengendsten, es waren die Erfassungsaufgaben akribisch zu bewältigen und ebenso truppendienstliche Dinge zu erledigen, also Dinge, die die Person des einzelnen Soldaten betrafen, weniger die Erfassungstätigkeit. Das war manchmal ein Spagat, der nicht immer leicht zu erfüllen war und die Motivation der Erfassungstätigkeit des Soldaten schwächen konnte. Auch waren am Tage immer irgendwelche Arbeiten an den Empfangs- und Analysegeräten zu erledigen, die die Konzentration der Erfasser ablenkte. Hohe Temperaturen in den Betriebsräumen, hohe Geräuschpegel durch die erwähnten Arbeiten und der Gespräche der übrigen Anwesenden machte am Tage die Erfassungsarbeit nicht immer leicht. Auch solche negativen Dinge sollen festgehalten werden, aber wie an jedem Arbeitsplatz gibt es Dinge, die eben unvermeidlich sind.  

 

Aber die Arbeit ging weiter und der Dienst in den fensterlosen Etagen 10 und 11 erfasste die Tätigkeit des Gegners, oftmals arbeiteten diese Teilbereiche zusammen durch empfangene Kommunikationen der Piloten, in denen bestimmte Flugkurse und Tätigkeiten angesprochen oder vermutet wurden und mit Hilfe der aktivierten Radargeräte an Bord oder am Boden bestätigt werden konnten und so durch die gemeinsame Erfassung der Dialoge und Impulse ein Erfassungsergebnis geliefert werden konnte. So gingen die Dienststunden dahin und es kam der Augenblick der Ablösung durch die Nachtschicht, die den Dienst zwischen 17:00 Uhr und 08:00 am nächsten Tag übernahm. Der Bus mit den „Tagesdienstlern“ war schon weggefahren und wenn die Übergabe an den Arbeitsplätzen nicht zu lange dauerte, konnte der Bus einige Minuten nach 17:00 Uhr die Rückfahrt nach Osterode beginnen. Nun war es so, dass die älteren Kameraden heim zu ihren Familien fuhren und die jungen Soldaten ihre Unterkunft in der Kaserne in Osterode aufsuchten. Es gab aber auch von Zeit zu Zeit Zusammenkünfte, die sogenannten Schichtfeten, die heute noch bekannt sind und hieraus sicher noch einige Anekdoten erzählt werden könnten. Schließlich wurde bei solchen Anlässen die Kameradschaft gefördert und es konnte auch einmal ungezwungen Privates besprochen werden. So eine Schicht oder auch Einsatzwache war wie eine Familie. Es wurde auch mal über Kameraden gesprochen, gewisse Dinge kritisiert oder auch für gut befunden, wie das eben in jeder zwischenmenschlichen Beziehung so ist. Aber die Schichten waren gute Kameradschaften und auch heute noch in Gesprächen mit ehemaligen Sektorangehörigen wird gerne davon geprochen. Vielfach ist der Satz in solchen Gesprächen zu hören: „Das war meine schönste Zeit bei der Bundeswehr“ und das ist wirklich ehrlich gemeint.  


 

Ein ganz normaler Tag auf dem Stöberhai – Spät- und Nachtschicht

Der ganz normale Tag auf dem Stöberhai wurde nach Ablösung der Tagesschicht durch das Personal der Einsatzwache fortgesetzt. Nun war also nur noch „die Schicht“, also das Einsatzpersonal im Turm. Die Erfassungslage war je nach Betriebssamkeit des Gegners ruhiger oder hektisch, bei gutem Wetter oder militärischen Übungen im Aufklärungsraum konnte der Flugbetrieb bis in die Nachtstunden stattfinden. Das bedeutete für alle Erfassungsetagen hohe Aufmerksamkeit, oftmals war die Erfassung in diesen Stunden angenehmer und konnte konzentrierter stattfinden, weil hohe Lärmpegel durch Wartungsarbeiten nicht mehr vorhanden waren und auch andere Tätigkeiten, die die Erfassung beeinträchtigen konnten, fanden nicht mehr statt. Die Spät- und Nachtschicht war ein recht langer Zeitraum von 17:00 – 08:00 Uhr am anderen Morgen, die Dienststunden wurden dann aufgeteilt, so dass niemand in dieser langen Zeit nur am „Gerät“ sitzen musste. Es fanden in den ersten Stunden der späten Schicht natürlich auch Weiterbildungen und Übungen des ABC/SE-Trupps statt, diese wurden zwischen den Teileinheitsführern und des „LDE´s“ (Leiter der Erfassung) abgestimmt. Der ABC/SE-Trupp war für den Brandschutz und Erste Hilfe zuständig, aber auch für Fragen der Wirkungen atomarer und chemischer Kampfstoffe. Jede Einsatzwache stellte so einen Trupp. Viele Erfassungen der besonderen Art fanden gerade in diesen Spätnachmittagsstunden statt, Besonderheiten wurden aufgezeichnet und der technischen Auswertung und Analyse zugeführt. Hiervon waren eben Signale betroffen, die als Radarsignale erfasst wurden oder aber Signale von z.B. Datenübertragungen zwischen rechnergestützten Waffensystemen. Als Signal wird hier hochfrequenztechnisch immer eine Aussendung bezeichnet, die durch einen beliebigen Sender erzeugt wird. Der Sinn dieser Aussendung ist, eine Information zu übertragen, beispielsweise ein Radiosender strahlt auf einer Frequenz Musik aus, die mit einem Radio oder auch Empfänger gehört werden kann. Diese übertragene Information wird auch Modulation genannt. Die Aussendungen, die in der 11. oder auch in der 8. Etage empfangen wurden, waren natürlich sehr viel komplexer als ein UKW-Musiksender, hätte man versucht mit einem herkömmlichen Radio z.B. ein Signal eines Richtfunkgerätes zu empfangen, hätte man davon nichts gehört. Deswegen war es wichtig Signale nicht nur zu hören, sondern auch optisch sichtbar zu machen, man konnte also einen Frequenzbereich, wie den UKW-Bereich eines Radios beobachten. Das hatte den Vorteil, dass man nicht nur eine Frequenz eines Senders einstellte, sondern gleich einen relativ breiten Frequenzbereich mit mehreren Sendequellen überwachen konnte. Nur durch diese Messgeräte, die Signale im Frequenzbereich optisch anzeigen konnten, war es möglich, die Signale auf die Art ihrer Modulation zu überprüfen und auf diese Weise eine Zuordnung zu treffen, um was für eine Aussendung es sich überhaupt handelt, in Verbindung mit der Richtungsfeststellung, wer das Signal ausstrahlt und was damit bezweckt wird. Sie sehen also an diesem kurzen Ausflug in Grundlagen der Hochfrequenztechnik, dass keineswegs das „Horchen“ Schwerpunkt auf dem Stöberhai war, sondern die diffizile Erfassungsarbeit und Analyse verschiedener Signalquellen, mit dem Ziel diese zu einer Lagebeurteilung zusammenzuführen und zu einem Mosaiksteinchen des Gesamtszenarios der jeweiligen Absichten des Gegners darzustellen.  Hier bei nun etwas zu kurz gekommen sind die Flugfunkerfassungen der Flugplätze, die der Turm Stöberhai zu bearbeiten hatte. Diese fanden in der 10. Etage des Turmes statt. Die Flugfunkfrequenzen, die der Erfasser am Arbeitsplatz bearbeitete, wurden auf einem Pult auch optisch angezeigt, also immer wenn der Pilot sprach, leuchtete auf dem Pult ein Feld auf und die Sprache gelangte akustisch zum Kopfhörer des Bearbeiters. Hier konnter der Erfasser auch mehrere Frequenzen gleichzeitig auswählen und bearbeiten. Den erfahrenen Flugfunkerfasser zeichnete die simultane Arbeit, also die Bearbeitung mehrerer Frequenzen des Flugfunks und die Steuerung anderer Flugfunk-Bearbeiter aus. Auch Besonderheiten der Tätigkeiten der Piloten oder das Heraushören technischer Auffälligkeiten wie der Einsatz und Zweck modifizierter Flugzeuge oder gar neuer Flugzeugtypen konnte so festgestellt werden. Hierbei war die Zusammenarbeit mit der 11. Etage stets von großer Wichtigkeit, um mit der zusätzlichen Erfassung von Radargeräten eine bloße Vermutung eines Sachverhalts aufgrund der Sprachinformation zu erhärten und sicherzustellen. Natürlich wurde auch der Sprechverkehr aufgezeichnet, um Besonderheiten, die durch das einmalige gesprochene Wort hätten verloren gehen können, später noch einmal nachzuhören und bei schlecht verständlichen Wortfragmenten diese durch das Nachhören anderer erfahrener Erfasser richtig zu interpretieren. Diese Sprache zu hören war für den, der sie das erste Mal hörte, ohnehin nicht einfach. Durch den Einsatz von Kehlkopfmikrofonen klang die Spache der Piloten recht unverständlich. Erst wenn man die Tätigkeit längere Zeit ausgeübt hatte, konnte man diese Sprache akustisch verstehen und auswerten. Auch bei der Bearbeitung von Flugfunkfrequenzen war es wichtig Frequenzbereiche optisch darzustellen, denn gelegentlich wechselten die Piloten die Kanäle und um Erfassungsausfälle zu vermeiden, mussten die neuen Frequenzen möglichst rasch gefunden werden. Auch in regelmäßigen zeitlichen Abständen wurden die Kanäle eines Flugplatzes gewechselt und dann mussten die neuen Frequenzen gesucht und mit den Erfassungspulten neu gesteckt werden. In  der 8. Etage war die Erfassungstätigkeit etwas anders, gegenüber den höheren Etagen, in denen sehr viel Routinearbeiten zu erledigen waren. Die 8.Etage untersuchte Sendequellen im Richtfunkbereich, die von militärischen Einrichtungen genutzt wurden, um an weiterführende Informationen zu gelangen. Aber auch auf Frequenzen mit Datenübertragungsverfahren, die damals Ende der 80er-Jahre schon den immer größer  werdenden Einsatz rechnergestützter Waffensysteme signalisierten, waren wichtige Ergänzungen der Erfassungen in der 11.Etage. Auch wurden hier gelegentlich offene Fernschreiben von militärischen Einrichtungen des Gegners im Aufklärungsraum empfangen, in denen  z.B. die Flugtätigkeit der Verbände im Aufklärungsraum für den nächsten Tag dokumentiert waren. Also waren alle für die kleinen Mosaiksteinchen zuständig, aus denen ein Puzzle der militärischen Großwetterlage zusammengesetzt werden konnte. So verging der Abend im Fluge und in den Stunden des neuen Tages wurde mit der Erfassung der normalen Routinefrequenzen aufs Neue begonnen, so dass in der 11. Etage immer viel zu tun war, dies betraf auch die 8.Etage. In der 10. Etage war in den ersten Stunden nach Mitternacht wenig zu tun, es herrschte dann die sogenannte Totenwache, wo mit kleiner Besetzung die Flugfunkfrequenzen überwacht wurden. Jedoch konnte auch hier der Flugbetrieb schon recht früh wieder beginnen, dies war auch abhängig von der Wetterlage, bei guter Sicht im Frühsommer begann der Flugbetrieb schon wieder sehr früh am Morgen und die Zeit zwischen der letzten Landung und dem ersten Start betrug kaum mehr als zwei bis drei Stunden. Die Zeit ab sechs Uhr früh war in der 11. Etage meist hektisch, weil die Flugabwehrstellungen des Diensthabenden Systems ihre Radargeräte zu Überprüfung aktivierten und dann musste in sehr kurzer Zeit eine Fülle von Daten weitergemeldet werden. Dies war aber auch zu Beginn der Spät-Nachtschicht der Fall, aber man wusste das und richtete sich darauf ein. So verging die Zeit bis zur Ablösung durch die Tagesschicht recht schnell und man konnte nun endlich einmal eine Mütze voll Schlaf nehmen. So war ein ganz normaler Tag auf dem Stöberhai vergangen und alles begann von vorn.

Diese Erzählungen sollen dazu dienen, dem der die Zeit erlebt hat, vor seinem geistigen Auge die eigenen Erinnerungen mal wieder einige Zeit Revue passieren zu lassen. Aber auch dem Außenstehenden, der lesen soll, wie es wirklich im Turm auf dem Stöberhai zuging und diese Tätigkeit gemessen an der damaligen politischen Lage, bewerten soll, damit das negative Bild des „Horchpostens“ gewandelt wird.

Druckversion  |   AGB´s  |   Seite weiter empfehlen  |  Impressum  |   Kontakt  |  Login